Sonntagskonzerte 2023 - Rezensionen

Sonntagskonzert Nr. 1 | Young Generation

Ein fulminanter Start in die Sonntagskonzertreihe 2023 des Berliner Chorverbandes ist am 15. Januar im Kammermusiksaal der Philharmonie gelungen!

Young Generation hieß das Motto mit dem sich der Mädchenchor Singakademie zu Berlin unter der Leitung von Friederike Stahmer, der Frauenchor der Künste Berlin und der Kammerchor der Künste Berlin (beide unter der Leitung von Maike Bühle) gemeinsam um ein Sonntagskonzert beworben hatten. Das Motto wurde nicht nur hinsichtlich des Altersdurchschnitts der ca. 100 Mitwirkenden erfüllt. Es ging auch mit dem ausgesuchten Programm inhaltlich immer wieder um Themen, die uns alle beschäftigen, junge Menschen aber ganz besonders bewegen und zukünftig treffen: Liebe und Leben, Heimatlosig- und Einsamkeit in einer von Krisen wie Krieg, Pandemie und Klimawandel gebeutelten Zeit.

Schon die drei gemeinsam musizierten Werke, die das Konzert rahmten, setzen hier einen thematischen Fokus: der Beschreibung des Genuss` des Lebens in einer heilen Natur in Henry Purcells Madrigal In these delightful pleasant grooves folgte die gemeinsame Darbietung von Will Todds beeindruckendem Werk Me Renovare aus der Choral Suite Songs of Renewals mit der eindringlichen, repetierenden Bitte um Transformation und Erneuerung von Natur und Mensch bis hin zu Katerina Gomins fetzigem Fire, das als Teil eines Zyklus´ über die vier Elemente die nötige Energie für die Erneuerung von Natur und Mensch durch Vokal- und Bodypercussion liefern möchte - und im Konzert als packendes Schluss-Stück auch tat!

Dazwischen setzen die drei Chöre Blöcke mit klassischen Chorwerken aus Barock und (Spät-) Romantik sowie zeitgenössischer Chorliteratur, die so manche selten gesungene Besonderheit zu Gehör brachte. Neben Arnold Mendelssohn Drei Madrigalen nach Worten aus Goethes „Die Leiden des junges Werther“ (gesungen von Kammerchor der Künste) und Paola Prestinis Dead Soul aus dem Tryptichon for Our Time (dargeboten vom Frauenchor der Künste), in dem es wieder um unsere Beziehung zur Erde und die Notwendigkeit einer Regeneration und Heilung der Menschheit und Erde geht, standen (Lied)-Vertonungen von H. Purcell,  J.Brahms auf dem Programm.

Großen Eindruck hinterließ auch das vom Mädchenchor der Singakademie berührend und mit einem hervorragenden piano musizierte Werk Even when he is silent von Kim A. Arnesen. Arnesen vertonte in diesem Stück eine Inschrift jüdischer Flüchtlinge in einem Kölner Keller, geschrieben während der Zeit des Nationalsozialismus. Trotz aller ausweglosen Resignation in schwierigen Zeiten weisen Text und Musik auf das universale Licht der Hoffnung: „I believe in the sun even when …. “

Bewegend an diesem Nachmittag war nicht nur der Dynamikreichtum und die agogische Flexibilität der drei Ensembles, sondern auch ihre sichere Intonation sowie ihr facettenreicher, leichter und homogener Klang. Die Entwicklung eigener Choreografien bei einigen ausgewählten Werken und das Darbieten eigens geschriebener Arrangements zum Volkslied Es führt über den Main aus dem Kreise der Studierenden der UdK heraus, brachten das kreative Potenzial innerhalb der Ensembles zudem zum Vorschein.

Friederike Stahmer und Maike Bühle führten ihre Chöre, die auch alle Preisträger beim Berliner Chortreff waren, dirigentisch versiert und engagiert durch das Programm. Das Publikum war begeistert und jubelte lautstark - manchmal leider auch schon in die Schlusstöne hinein.

Einzig bleibt zu wünschen: man würde den Mitwirkenden die Freude am Singen nicht nur abhören sondern auch ansehen wollen. Alle Sänger:innen waren mit ernsthafter Konzentration dabei, die vermutlich auch aus der wenigen Probenzeit im Kammermusik-Saal und den zahlreichen Formationswechseln resultierte.

Und ein Wunsch an die Gestaltung des Programmheftes möchte ich gerne einbringen: Es wäre wunderbar, wenn die gesungenen Texte zum Nachvollziehen abgedruckt werden.

Der Auftakt der Sonntagskonzertreihe war ein Gewinn für die Berliner Chorszene. Er macht Hoffnung darauf, dass auch durch die Young Generation die Lust am Singen, die damit verbundenen Botschaften und das Gemeinschaftsstiftende weiter in die Gesellschaft getragen werden.

Rezension: Marie-Louise Schneider


Sonntagskonzert Nr. 2 | Wanted: Pax

Ein bisschen Frieden…

Drei Berliner Chöre kooperieren für ein gemeinsames Konzert im Kammermusiksaal der Philharmonie auf der Suche nach Frieden.

Das zweite Konzert der Sonntagskonzertreihe des Berliner Chorverbandes stand im Zeichen des Suchens und Findens von Frieden. Dabei wurde Frieden zunächst als Abwesenheit von Krieg begriffen. Die Ausführenden illustrierten verschiedene Aspekte des Friedens mit musikalischen Mitteln und machten sie so künstlerisch erlebbar.

Der gut vorbereitete und auswendig singende Charité Chor Berlin begann mit Liedern vom Abschied und Andenken an geliebte Menschen. Mit guter Intonation und insgesamt überzeugender Darbietung nahmen der Charité Chor und sein Leiter Adrian Emans damit den Frieden als letzten Ausweg des Lebens in den Blick. Der studentische Chor mochte auf den ersten Blick nicht zum düsteren textlichen und musikalischen Inhalt passen, doch überzeugten die Sänger:innen durch eine erstaunlich reife, verinnerlichte Überzeugung, die umso berührender wirkte, als sie von diesen jungen Menschen vorgetragen wurde.

Als choreografischer Übergang zu cantamus Berlin wurde das französische Renaissance-Chanson L´homme armé ausgewählt und als rhythmisches Klatsch-Duell angelegt. Der Charité Chor und cantamus versuchten dabei, das kriegerische Element durch zwei entgegengesetzte rhythmische Ebenen zu verdeutlichen und tauschten im Verlauf dieser Performance die Plätze, sodass cantamus auf der Bühne endete und der Charité Chor im Publikum hinter der Bühne Platz nehmen konnte.

Das Lied vom Mann in Waffen verdeutlicht, dass Frieden eine vielschichtige Frage der Perspektive ist, wird doch der Krieg von Herrschenden befohlen, die nicht Gefahr laufen, dabei umzukommen. Cantamus und Carolin Strecker lenkten den Fokus auf den kleinen Mann, der ein Gedicht zu Gott sendet und um Frieden bittet.

Panda Chant 2 von Meredith Monk gewährte dabei einen starken Kontrast zu den ansonsten eher innigen Werken des bisherigen Konzertverlaufes. Dieses dankbare und effektvolle Stück bot den Zuhörer:innen Einblick in ein Ritual einer fiktiven, postapokalyptischen Welt mit dazu passenden Tanz- und Geräuschelementen. Cantamus bot neben auflockernden Aufstellungswechseln somit ein Programm mit großer Bandbreite von Purcells Hear my Prayer und Arvo Pärts Da Pacem zu eben jenem Panda Chant 2.   

Nach der Pause stellte sich ensemberlino vocale der musikalisch und inhaltlich komplexen Frage nach dem „Warum?“ von Johannes Brahms. Dabei schien der Text insofern in ein Konzert auf der Suche nach Frieden zu passen, als er die Theodizee-Frage stellt, warum Gott das Leiden zulässt, wenn er doch allmächtig und gut ist. Matthias Stoffels führte das ensemberlino vocale sicher durch die Schwierigkeiten dieser Partitur. Der Kammerchor überzeugte mit dichter Stimmführung trotz eines elegischen Tempos und bot sichere Intonation.

Am wirkungsmächtigsten war der nun folgende Schlussteil des Konzertes. Zunächst interpretierte ensemberlino vocale Philip Lawtons Nunc dimittis und steuerte so eine weitere Aufführung aktueller Chormusik bei. Das Stück changiert zwischen choralartigen Dur/Moll-tonalen Teilen und improvisatorisch angelegten Klangflächen, die auf individualisiertem Tempo des Einzelsängers beruhen. Der eigentlich erwartete Schluss wurde durch den attacca Einsatz der Sänger von cantamus, die das folgende Amen anstimmten, überhöht. So verstärkte sich die Wirkung dieser Chorimprovisation, die sich von chaotischen Zufallsharmonien zu harmonischen Klängen hin bewegte, maximal. Dabei entstand auch durch das plötzliche Aufstehen der zusätzlichen Sänger ein Eindruck von Konflikt und gewaltvoller Atmosphäre. Dieser verstärkte sich im Folgenden durch die von allen Chören gemeinsam vorgetragenen Werke schtzngrmm und ´s ist Krieg!, die den Krieg mit sprachlichen Mitteln veranschaulichten. Dabei bewegen sich die Sänger auf die Bühne und teilweise bis in den Publikumsblock A und lassen das Publikum so den Konflikt greifbar miterleben. Durch das Entfernen der Vokale aus dem Text entstand eine bedrückende Wirkung, so als würde der Sprache selbst ihre Seele genommen. So bleibt übrig, was der Krieg übrig lässt: inhaltsleeres Geräusch statt Klang, Entfremdung statt Verbindung.

Das letzte Stück dieses eindrücklichen Konzertnachmittags -Peace, I leave with you von Martin Åsander- war als Hoffnungsstreif gedacht und sollte die Hörer:innen versöhnt in den Abend entlassen. Die Suche nach dem ewigen Frieden hatte bereits Immanuel Kant auf ähnlich unbefriedigende Art und Weise beantwortet, als er seinen Aufsatz „Zum Ewigen Frieden“ ironisch nach einer Friedhofskneipe benannte und auf diese Weise den schnellsten Weg zum Frieden aufzeigte. Peace I leave with you antwortet, indem es auf den Frieden in einer anderen Welt verweist. Man hätte sich wünschen können, in der Verstörung von schtzngrmm belassen zu werden und so einen noch stärkeren Handlungsimpuls für einen diesseitigen Friedensplan finden zu können. Dennoch hat dieser Konzertnachmittag das große Ziel aller Konzerte erreicht: das Publikum emotional und inhaltlich zu erreichen und zu verändern – ein kleiner Beitrag zur großen Frage nach den Bedingungen für ein friedliches Zusammenleben aller Menschen.

Rezension: Nils Jensen


Sonntagskonzert Nr. 3 | An Afternoon in Jazz, Pop & Classics

DREI ARTEN CHOR ZU SINGEN

Zum 3. Sonntagskonzert am 26. März 2023 luden das Junge Consortium Berlin, der Landesjugendchor Berlin und der Neue Jazzchor Berlin ein.

Unter dem Titel „An Afternoon in Jazz, Pop & Classics“ präsentierten sich drei Chöre, deren Verschiedenheit zum Programm wurde: Repertoire, Chorklang, Stilistik, Bühnenpräsentation, Botschaft – drei ganz eigene Arten Chor zu singen begegneten uns an diesem Nachmittag: Das Junge Consortium Berlin unter der Leitung von Vinzenz Weissenburger sang Werke der klassischen und zeitgenössischen Chormusik, der Landesjugendchor Berlin unter der Leitung von Bastian Holze präsentierte Arrangements aus Pop/Rock und der Neue Jazzchor Berlin unter der Leitung von Caroline Krohn entführte uns in die stilistische Vielfalt des Jazz.

Sowohl vor als auch nach der Pause sangen alle drei Ensembles, so dass das Aufeinandertreffen zum unwillkürlichen Vergleich anregte: Der volle, klassisch ausgebildete Chorklang des Jungen Consortiums Berlin, der viel luftigere, poppigere und individuellere Sound des Landesjugendchores und schließlich die Close-harmony-Voicings des Neuen Jazzchores machten allein schon klanglich die große Bandbreite im Chorgesang deutlich.

Das Konzert wurde nach einem gemeinsamen Introitus aller Chöre durch das JungeConsortium Berlin eröffnet. Der Jugendkammerchor bestach durch seinen ausgewogenen und intonationsreinen Chorgesang, souveräne Interpretation und hervorragende Sprachbehandlung. Die ca. 30 jungen Sängerinnen und Sänger sind das Singen auf großer Bühne im In- und Ausland gewöhnt: Der Chor hat seit seiner Gründung 2015 etliche Konzerte, Wettbewerbe, Auszeichnungen und Konzertreisen bestritten. Neben Werken von Felix Mendelssohn Bartholdy, Aaron Copland und György Orban bildete die englische Chormusik den musikalischen Schwerpunkt im Konzert. Der Chor kam gerade von einem Coaching mit Voces8 aus England zurück und ließ uns, frisch inspiriert, Anteil an dieser wunderbaren Musik nehmen. Der berührende Earth Song von Frank Ticheli bezauberte das Publikum ganz besonders.

Eine gänzlich andere Chorwelt zeigte der Landesjugendchor Berlin. Eine offene und wechselnde Bühnenaufstellung, auswendiges Singen, das den sofortigen Kontakt zum Publikum herstellte, individuelle Stimmen, groovige Sounds und auf den Chor zugeschnittene Arrangements bildeten einen gelungenen Kontrast zum klassischen Anfangsteil. Der Landesjugendchor Berlin hat sich für den 11. Deutschen Chorwettbewerb im Juni qualifiziert. Das dortige Pflichtstück – eine neu arrangierte Bearbeitung des Volksliedes „Es waren zwei Königskinder“ – wurde von Bastian Holze selbst humorvoll gesetzt und erheiterte das Publikum. Mit Make Me Feel Okay präsentierte der Chor eine Uraufführung. Der leise und nachdenkliche Song über Einsamkeit von Winnie Brückner versammelt Worte, die in der Pandemiezeit wichtig wurden. 

Das klangliche Dreieck des Nachmittages wurde durch den Neuen Jazzchor Berlin vollendet. Der weiche und homogene Chorklang bildete die musikalische Mitte zwischen den beiden anderen Chören. Swing, Afro, Standard, Samba, Latin, Musical – so facettenreich Jazz ist, so vielfältig präsentierte sich der Neue Jazzchor. Die ausgeklügelte Jazzharmonik ist dem Chor vertraut, so dass die Voicings in den kniffligen Arrangements sicher gelangen. Neben bekannten und unsterblichen Songs wie Over The Rainbow, Fields Of Gold und Singin‘ In The Rain berührte der Chor vor allem mit Afro Blue im Satz von Matthias Knoche. Gelungene Scatteile und Improvisationsoli – unerlässlich im Jazz – machten deutlich, wie ganz anders Jazzchor ist.

Das Konzert wurde durch alle drei Chöre gemeinsam beendet: Smile – Charles Chaplins Ballade, gesungen von allen Chören, klang wunderbar jazzig und Colors – ein rhythmischer Rausschmeißer von Bastian Holze - ließ das Konzert energiegeladen und schwungvoll beenden.

Ist im abschließenden Blick auf das Konzert ein Vergleich der Chöre überhaupt nötig oder sinnvoll? Einerseits ja, weil das unmittelbare Aufeinandertreffen so unterschiedlicher Sparten des Chorgesangs nicht häufig ist und wir an diesem Nachmittag erleben konnten, wie

grundverschieden Chorsingen sein kann, andererseits nein, weil uns alle Chöre an diesem Nachmittag auf ihre besondere Weise gleichermaßen berührt und erfreut haben.

An Afternoon in Jazz, Pop & Classics bot uns DREI ARTEN CHOR ZU SINGEN.

Rezension: Vera Zweiniger


Sonntagskonzert Nr. 4 | Running Up That Hill

Running Up That Hill

Aus der eigenen Komfortzone heraus gelockt zu werden, darauf freue ich mich an diesem sonnigen Frühlingsnachmittag auf dem Weg zur Philharmonie. Die Berliner Chöre „Feature Chor“ (Leitung: Anna Bolz), „Água na Boca“ (Leitung: Edy Godinho) und „Gebrannte Mandeln“ (Leitung: Sandra Lugbull-Krien) luden dazu ein, zusammen ihre Welt vom Berggipfel aus zu betrachten. „Willst du spüren, wie es sich anfühlt?“ Eine Textzeile aus dem Hit „Running Up That Hill“ von Kate Bush ist das Fundament des musikalischen Nachmittags.

Das Konzert beginnt mit einem wundervollen, berührenden Arrangement von Winnie Brückner des Titelsongs, welches gemeinsam von allen drei Chören vorgetragen wird. Atemzüge eröffnen das Konzert und wandern durch die Stimmgruppen, der wohl harmonierende gemeinsame Klang der drei Chöre lädt direkt dazu ein, die eigene Denkblase zu verlassen und sich ganz dem Klang der über 70 Sänger*innen auf der Bühne des fast ausverkauften Kammermusiksaals hinzugeben.

Durch den Nachmittag und die gesungenen Lebensgeschichten führt Katharina Lingen mit kurzen und nahbaren Moderationen, die den Raum zwischen Chören, Publikum und der thematischen Gipfelwanderung verbinden.

Der Feature Chor, ein Frauenensemble unter der Leitung von Anna Bolz, das sich Arrangements abseits ausgetretener Chorpfade widmet, überzeugt mit sehr guter Intonation und Dynamikarbeit. Im Repertoire des Chores finden sich Komponistinnen und Arrangeurinnen, die ihr Handwerk verstehen und das Ensemble schafft es eine emotionale Verbindung zum Publikum herzustellen. Am Flügel werden sie bei den ersten Titeln und einem fulminanten Space Oddity sehr gefühlvoll vom Pianisten Christopher Lübeck begleitet.

Ein absolutes Highlight ist für mich der A Cappella vorgetragene Song “Between The Bars“ von Elliott Smith (Arr. Winnie Brückner). Hier zeigt das Ensemble, dass es vielschichtig und Klangfarbenreich in erzählerische Tiefe gehen kann. Hot Knife (leicht textlich verändert) greift das Thema des Abends wieder hautnah auf und beim letzten Song „Drumming Song“ ist das Publikum vollkommen in den Bann des 40 Kopf großen Chores gezogen.

Danach weht eine herrlich frische Sommerbrise mit Água na Boca durch den Saal. Jede einzelne der 10 Sängerinnnen des Ensembles schafft es, die körperliche Leichtigkeit und strahlende Musik Brasiliens für uns alle spürbar zu machen. Die Chorleiterin Edy Godinho begleitet dabei wunderbar auf der Gitarre und der Percussionist Léo Oliviera schafft es mit sanften Rhythmen den Chor immer passend zu unterstützen. 4-5 stimmige Arrangements auf portugiesisch, die die harmonische Vielfalt des Bossa Nova widerspiegeln, zaubern mir ein Lächeln ins Gesicht und das große Finale der ersten Konzerthälfte ist „Água de Beber“ gesungen von allen Teilnehmer*innen zueinander gedreht. Ein Moment, der die Verbundenheit der Ensembles dieses Nachmittags wieder erstrahlen lässt.

Nach der Pause wurde der Chor Gebrannte Mandeln mit großem Applaus empfangen und sang von den Menschen, die uns die höchsten Berge erklimmen lassen. Mit zwinkerndem Auge und Freude am gemeinsamen Singen widmeten sie sich den großen Hits der Pop- und Rockgeschichte. Bei „Wenn du tanzt“ hätte so mancher gern im Publikum das Tanzbein geschwungen und bei „The Fool On The Hill“ und „True Colours“ zeigte sich das Ensemble von seiner gefühlvollen Seite.

Abgerundet wurde der Nachmittag durch das gemeinsam gesungene „Bring Me Little Water, Silvie“ von Lead Belly (Arr.: Moira Smiley, Bearb.: Sandra Lugbull-Krien) mit integrierter Body Percussion und dem Wohlklang aller Ensembles.

Viel Liebe und Bedachtheit floss in den musikalischen Nachmittag ein und es hat sich gelohnt. Nach dem Konzert gab es viele strahlende Gesichter vor der Bühne, auf der Bühne und hinter der Bühne. So geht Gemeinschaft und Teamwork. Eine große Freude ist es dabei für mich zu sehen, wie viele Frauen in unserer Berliner Chorszene mit Qualität und Hingabe Musik schreiben und sie mit und in Chören zum Klingen bringen. Da lohnt es sich doch, die Berge gemeinsam zu erklimmen, um die Welt neu zu betrachten, vielen Dank!

Rezension: Tanja Pannier


Sonntagskonzert Nr. 5 | Natur, Seele und Harmonie

Natur, Seele und Harmonie

Auf der Suche nach Versöhnung der Seelen luden die Chöre Sono97, das Vocalensemble Acanto und der Kammerchor der Humboldt Universität zu Berlin zum Sonntagskonzert in die Philharmonie.

Die Ensembles präsentierten, im leider nur zu einem Drittel gefüllten Kammermusiksaal, eine musikalische Reise vom 16. Jahrhundert zu den Klängen dieses Jahrhunderts. Programmatisch besonders gelungen ist dies durch eine (fast) durchgehend chronologische Darbietung von Stücken.

In der Eröffnung durch Sono97, wurden ausschließlich Werke der Alten Musik präsentiert.

Henry Purcells ‚Hear my prayer, O Lord‘ baute dem Publikum eine Brücke zu den romantischen Werken im Programm des Vocalensembles Acanto. Einzig Arvo Pärts ‚Da Pacem Domine‘ und Trond Kvernos ‚Ave Maris Stella‘ brachen mit dem ansonsten stringenten musikalischen Wandel durch die Epochen.    

Helga Delgado, Leiterin beider Ensembles der ersten Hälfte des Programms, präsentierte mit ihren Chören starken Gestaltungswillen und klare Interpretationsabsichten.

„Denn was Sichtbar ist, das ist zeitlich. Was aber unsichtbar ist, das ist ewig.“  Beide Ensembles glänzten durch klare Artikulation des Texts. Mit ‚Les Fleurs et les Arbres’ von Saint-Saens und dem ‚Schilflied‘ von Fanny Hensel schwangen hoffnungsvolle Klänge durch den Kammermusiksaal und die Freude war den Sänger:innen anzusehen.

Insgesamt herrschten im ersten Teil aber eine überwiegend getragene Interpretation der Seelensuche vor, bis hin zu Regers ‚Nachtlied‘ mit dem das Publikum in die frühlingshafte Pause entlassen wurde.

Höhepunkte waren die Momente, in denen die Chöre sich von den Noten befreiten, die emotionale Verbindung der Sänger:innen zur Musik spürbar wurde und eine sehr lebendige Verbindung zum Publikum entstand.

Die zweite Hälfte des Konzerts wurde vom Kammerchor der Humboldt-Universität zu Berlin unter der Leitung von Rainer Ahrens gestaltet. Es erklangen ausschließlich Werke des 21. Jahrhunderts in durchweg homogenem und differenziertem Chorklang. Den Rahmen bildeten eingängige Kompositionen von Eric Whitacre (‚The Seal Lullaby‘) und Ola Gjeilo (‚The Ground‘). Der Chor beeindruckte mit zwei sehr harmonisch und rhythmisch anspruchsvolle Stücke von Pawel Lukaszewski, die auch dank des motivierenden und klaren Dirigats von Rainer Ahrens, stimmgewaltig und dynamisch differenziert präsentiert wurden. Besonders berührend erklangen die Soli in ‚Northern Lights‘ und ‚Only in Sleep‘ von Erik Esenvalds, die sensibel vom Chor begleitet wurden.

Umrahmt wurde das Programm von einer hervorragend einfühlsam gespielten Continuo Begleitung mit Truhenorgel (Arno Schneider) und Violincello (Sarah-Luise Raschke) in Johann Herrmann Scheins ‚Was betrübst du dich meine Seele‘ und dem hoffnungsvollen gemeinsamen Finale aller Ensembles ‚Meine Seele erhebt den Herren’ von Heinrich Schütz.

Für zukünftige Konzerte wäre eine einheitliche Gestaltung des Programmheftes wünschenswert, die die Zuordnung der Informationen zu den einzelnen Stücken erleichtert und den gemeinsamen Bogen des Programms auch visuell sichtbar macht.

Rezension: Katrin Hübner


Sonntagskonzert Nr. 6 | traumverloren

Unter dem poetischen Titel „traumverloren“ gestalteten zwei Chöre gemeinsam und abwechselnd das großartige Sonntagskonzert am 11. Juni im gut besuchten Kammermusiksaal der Philharmonie. Schillernd in den reichen Klangfarben und oszillierend in der musikalischen Stilistik boten der ‘Hxos-Chor (Leitung: Stelios Chatziktoris) und der Carl-von Ossietzky-Chor (Leitung: Berit Kramer) dem Publikum bekannte klassische Chormusik (berauschend in großer Besetzung der Psalm „Richte mich, Gott“ von F. Mendelssohn Bartholdy, warm und nuanciert die Volksliedsätze „Der Mond ist aufgegangen“ und „Ich hab‘ die Nacht geträumet“ von M. Reger) und sehr viel zeitgenössische Chormusik. Zur hingebungsvollen Atmosphäre dieses außerordentlich klug gestalteten Konzerts trugen die starken Texte bekannter Dichterinnen und Dichter ihr Übriges bei.

Neben Bekannterem aus der Moderne (fantastisch, wie der ‘Hxos-Chor mit nur gut 20 Sänger:innen bei Whitacres „Lux Aurumque“ und Ē. Ešenvalds‘ „Rivers of Light“ klanglich überzeugen konnte und wunderbar, dass der Ossietzky-Chor die harmonisch kühne Chormusik von J. Mäntyjärvi so wirkungsvoll vorgetragen hat!), gab es auch chormusikalisch Neues. Vom Ossietzky-Chor hörten wir etwa das im Ton schlichte, doch tief bewegende „Mother of God“ von J. Taverner, das sich gegen die politischen Zustände im Iran engagierende „Freiheit – Wir haben Kraft“ von A. Varahram (auch als Solist mit Gitarre und Gesang) und K. Bikkembergs „Wie die Seele…“, das der Chor im vergangenen Jahr auch uraufgeführt hat. Der ‘Hxos-Chor hat das harmonisch knifflige „Salve Regina“ von M. Kocsár und das ausgedehnt expressive „Totus tuus“ von H. M. Górecki bestens gemeistert.

Der ‘Hxos-Chor gestaltete die vorgetragenen Werke in einer stimmigen Balance zwischen musikalischer Präzision und emotionaler Leidenschaft, und die Auswahl der Stücke des Ossietzky-Chors zeugte von einem breiten musikalischen Spektrum und einem tiefen Verständnis für die verschiedenen Genres.

Ein Höhepunkt des Nachmittags war die diesjährige Verleihung der Geschwister-Mendelssohn-Medaille, die dem Begegnungschor, dem queeren Chor canta.re und Gudrun Luise Gierszal, Kinder und Jugendchorleiterin beim Staats- und Domchor Berlin, durch Petra Merkel und Adrian Emans überreicht wurde. Christina Hoffmann-Möller und Susanne Jüdes, seit 50 Jahren die Leiterinnen des Hanns Eisler Chores Berlin, erhielten die Auszeichnung für ihr Lebenswerk. Diese erste Verleihung der Medaille im Kammermusiksaal war ein bewegender Moment des Konzerts, begleitet von großem Applaus des Publikums.

Mit E. Elgars trost- und lichtvollem „Lux aeterna“ (dem achtstimmigen von J. Cameron für Chor bearbeitetem „Nimrod“ aus den Enigma-Variationen) beschlossen der ‘Hxos-Chor und der Carl-von Ossietzky-Chor das Konzert wieder gemeinsam. Das Konzert war eine echte Entdeckungsreise in traumverlorene Klangwelten, die das Publikum tief in die Räume und Atmosphären der Chormusik eintauchen ließ.

Rezension: Carsten Albrecht